Erzählte Ordnungen – Ordnungen und Entscheiden

von Maximiliane Berger

http://www.ds.uzh.ch/Agenda/?show=2391

Ordnung in Zürich

Ein dichtes Programm und ein luftiger Raum: beste Voraussetzungen für anregende Diskussionen zu einem fachübergreifend interessierenden Thema. Die Ordnungen von Texten, und wie (außertextliche?) Ordnungen durch Texte verhandelt und vermittelt werden, beschäftigen auf die eine oder andere Weise alle historisch arbeitenden Disziplinen. Unter einer hohen Kassettendecke und zwischen filigran bemalten Wänden versammelten Daniela Fuhrmann und Pia Selmayr von der Universität Zürich ihre Kollegen aus der germanistischen Mediävistik, von Kiel bis Zürich, von Köln bis Chemnitz, um Ordnung zu schaffen im Sprechen über Ordnungen. Auch Historiker aus dem SFB 1150 spielten Mäuschen und spitzten die Ohren, ohne sich freilich in das Tableau besprochener Tiererzählungen eingliedern zu lassen.

Die Eröffnung der Gastgeberinnen räumte das thematische Feld von erzählten Ordnungen // Ordnungen des Erzählens auf. Ordnung im und am Text, Ordnung, Kognition und Wissen, Ordnung zwischen Destabilisierung und Stabilisierung, Ordnung, Umordnung und Unordnung, Ordnung und Semantik, Ordnung und Narratologie, Ordnung und Zeitlichkeit – alles dies fand sich an den folgenden Tagen anhand vielfältiger Analysen einzelner Texte der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschsprachigen Literatur wieder. Dabei wurde Wert auf einen Ordnungsbegriff mittlerer Verbindlichkeit gelegt, der „einen geregelten Zusammenhang von diesem und jenem“, eine Richtung, aber keine Statik impliziert. Die für die einzelnen Analysen ausgewählten Stücke aus Epik, Geschichtsdichtung, Märe, Minnerede und mehr ordneten sich für Zuhörer aus dem SFB „Kulturen des Entscheidens“ zu einem Muster, das Ordnungen dem Entscheiden zur Seite oder vielleicht vielmehr gegenüberstellt. Ordnungsverhandlungen fanden zu einem guten Teil anhand von Entscheidungssituationen statt.

Ordnung vor Gericht?

Michael Waltenberger (München) fragte, ob alles in Ordnung sei, wenn eine unentschiedene Minnesituation im Rahmen einer Gerichtsverhandlung behandelt wird und schlussendlich auch dort ungelöst bleibt. Das formalisierte Entscheiden des Minnegerichts endet in Fristsetzungen, die den Ball wieder an die ungerührte Dame zurückspielen, indem sie bei mangelnder Minnebereitschaft lediglich mit weiteren Klagen, weiterem Entscheiden drohen. In der Ordnung gerichtlichen Entscheidens ist der Minnende wohl besser nicht. Auch ein fälschlich der Häresie bezichtigter Bauer in einer von Klaus Ridder (Tübingen) besprochenen Kurzerzählung hätte auf das gerichtliche Entscheiden wohl lieber verzichtet. In solchen Erzählungen kann sich verknappende Zeit als Signum der Ordnungsbedrohung ausgemacht werden, wie auch häufig als Signum des Entscheidens, was zum Nachdenken über die Beziehung von Entscheidungsbedarf und Prekarität (Entscheidbarkeit) von Ordnungen anregte.

Höfische Ordnungen

In Tobias Bulangs (Heidelberg) Ausführungen zum Erzählen von Tristan erschien die alternativlose Notwendigkeit erzählter Entwicklungen als Resultat gerade fragmentierter, Kontingenz aufrufender, verstreut eingewebter Elemente höfischer Ordnungen; eine Art invertierter decisio, die aus der Optionalität den richtig gerichteten Weg des Helden produziert. Ebenfalls in höfischem Umfeld wandelte Andreas Kraß (Berlin), der Variation, Inversion und Perversion des Brautwerbungsschemas im König Rother besprach und die Frage aufwarf, welche (reichs)politische Lesarten dieses dynastisch-literarischen Entscheidungsproblems vertreten werden könnten. Durch Vorausdeutungen auf pippinidische Sprösslinge der Figuren werden stetig Entscheidungsräume, die die Figurenkonstellationen eröffnen, im notwendigen Fluchtpunkt der historisch bekannten karolingischen Ordnung aufgehoben. Oder erhält dadurch etwa eben jene Ordnung einen Anstrich von Alternativität?

Jan Mohr (München) untersuchte den „schweifenden Blick“ im Artusroman, der das Spannungsverhältnis des Artushofes zwischen Agonalität und Egalität in der Erzählung aushaltend übergleitet, und eben nicht systematisch verhandelt. Im Vordergrund standen ihm Zweikampfsituationen, die auf eine Hierarchisierung durch Entscheidung hinauslaufen, wobei diese dennoch nur durch die Ebenbürtigkeit der Gegner legitimiert werden kann. Resultat der erzählerischen Blickordnung sind Kampfsuspendierungen und Verschiebungen, eine an Alternativitätspräferenz grenzende Alternativitätsindifferenz des höfischen Settings.

Diese Befunde verweisen entscheidensthematisch auf die Frage nach der möglichen oder vermeintlichen Entscheidungsarmut der Vormoderne. Eine Antwort wird wohl mindestens ebenso lange auf sich warten lassen wie manche Entscheidungen des Reichskammergerichtes, doch die Zürcher Tagung zu erzählten Ordnungen hat eine neue Problemformulierung beigetragen: Ordnung durch/anhand von Entscheiden – oder Ordnung statt Entscheiden?

 

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