Decisio. Ein Schnitt, der das Vorher vom Nachher scheidet, die eine gewählte von den vielen möglichen Optionen. Gesetzt wird er im komplexen Gewebe der sozialen Welt, um aus dessen vielfältigen Potentialitäten konkretes Handeln herauszupräparieren. Entscheiden in diesem Sinne ist als ‚abschneiden‘ (lat. de-caedere) vor allem ein Zuschneiden, ein Handhabbarmachen, das soziale Komplexität reduziert und einen spezifischen Umgang mit Kontingenz ermöglicht – mitunter auch gewaltsam auf Kosten sozialer und kultureller Bindungen.
Daher lässt sich die decisio nicht unabhängig von jenem Sozialen betrachten, in dem und aus dem heraus sie erfolgt. Wann und wo sich der Schnitt wie setzen lässt, was die Bedingungen, welche die Werkzeuge sind, ob er je tatsächlich gesetzt wird, ja schon, ob überhaupt die Semantik des Schneidens, des Trennens, des Ent-scheidens dafür verwendet wird, ist je kulturell spezifisch, historisch wandelbar. Die decisio selbst ist kontingent, Gegenstand kultureller Aushandlung, als solcher zu reflektieren und zu historisieren. Die Prominenz des decisio-Konzepts und seine sprachliche Naturalisierung lassen aus dem Blick geraten, dass Entscheiden sich empirisch mitnichten stets als ein Akt, als der eine, einschneidende Moment darstellt, sondern oft als langwieriger Prozess. Daraus können Entscheidungen emergieren, oder auch nicht, sie können kleinschrittig, in komplexen Interaktionen ‚angefertigt‘, müssen nicht unbedingt als Cuts, als decisiones gesetzt werden, so selbstverständlich der Diskurs sie in Termini des Schneidens und Scheidens fassen mag.
Wenn wir die decisio-Semantik hier aufgreifen, dann also als schon problematisierte, als bewusst gesetztes begriffliches Fragezeichen im Titel des Blogs: Ihre Wirkmächtigkeit nicht zuletzt auf die wissenschaftliche Theoriebildung ist ernstzunehmen, bleibt Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung, komplementär denken wir aber Entscheiden prozessual, als soziales Handeln, das sich in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich (und nicht nur als decisio) gestaltet und an der Gestaltung der jeweiligen Kultur partizipiert. Den SFB 1150 in Münster interessieren solche verschiedenen „Kulturen des Entscheidens“. Er untersucht weniger den isolierten Schnitt, die Entscheidung, als vielmehr die Prozesse, das soziale Handeln Entscheiden in all seiner voraussetzungsvollen, intrikaten kulturellen Verfasstheit.
In unseren Projekten, auf Workshops und Tagungen, in den entstehenden Publikationen zielen wir auf den profunden wissenschaftlichen Querschnitt – der Blog erlaubt auch den probeweisen Anschnitt: mal tiefer, mal mehr an der Oberfläche; mal skizzenhafter, mal elaborierter präsentieren die Beiträge work in progress, kommentieren, rezensieren, stellen Gedanken, Thesen, Fundstücke vor und gelegentlich Reflexionen zu aktuellen Themen an, bei denen eine historisch-kulturwissenschaftliche Perspektivierung des Entscheidens lohnt.
Decisio. Ein SFBlog versteht sich somit ausdrücklich nicht als Publikationsplattform für umfassende Forschungsergebnisse des SFB, sondern praktiziert, seinem Namen entsprechend, ganz bewusst selbst decisio: Er gibt Ausschnitte aus der sowie Perspektiven auf die Arbeit des SFB und schneidet darüber hinaus Gegenstände an, die in keines der Projekte fallen, aber entscheidenstheoretisches Interesse wecken. Gestaltet und redaktionell betreut wird der Blog von den Doktorand/innen des Integrierten Graduiertenkollegs, zu Wort kommen neben den Doktorand/innen als regelmäßige Autor/innen auch andere Mitglieder des SFB sowie Assoziierte und Gäste.