Auftakt der Filmreihe mit Anne Zohra Berrached und Claudia Roesch
von Sarah Nienhaus
Am 11.12.2017 um 17.00 Uhr flimmerten bei Popcorn und Wasser am Domplatz 6 die ersten Szenen des Entscheidens an den neuen Bürowänden des SFB 1150. Der Auftakt der Reihe galt dem Film 24 Wochen, zu dessen Vorstellung die Regisseurin Anne Zohra Berrached und die Historikerin Claudia Roesch als Gäste geladen waren.
24 Wochen erschien im Spätsommer 2016 und wurde u. a. mit dem Gilde-Filmpreis, Studio Hamburg Nachwuchspreis und Förderpreis der DEFA-Stiftung ausgezeichnet. Die Figuren Anne (Julia Jentsch) und Markus (Bjarne Mädel) haben ein gesundes Kind, eine glückliche Ehe und sind beruflich erfolgreich. Als sie ihr zweites Kind erwarten, erfahren sie im sechsten Monat der Schwangerschaft, dass das Ungeborene schwerkrank ist. Fortan wird den Eltern zugemutet, über eine Spätabtreibung zu entscheiden. Dabei zeichnet sich der Film durch die berücksichtigten, konfliktauslösenden Partnerperspektiven aus. Zudem besitzt die Verfilmung dokumentarische Anteile, da Ärzte wie Hebammen von medizinischem Personal ohne Schauspielerfahrungen dargestellt werden.
Mit der Filmreihe Szenen des Entscheidens wird das Anliegen verfolgt, das Medium Film als Untersuchungsgegenstand schärfer zu konturieren. Zugleich soll der Versuch unternommen werden, eine breite Diskussionskultur zu fördern, indem die Türen des SFB 1150 für ein interessiertes Publikum geöffnet werden. Die jeweiligen Filmabende widmen sich primär dem Stellenwert ausgewählter ‚Entscheidensprozesse‘ in spezifischen Kommunikationsgefügen.
Mit Anne Zohra Berrached konnte für die erste Sitzung eine international anerkannte Regisseurin als Diskussionspartnerin gewonnen werden. Sie bot einen Einblick in die filmischen Darstellungstechniken privater Entscheidensprozesse. Die Herausforderung einer sich dem Thema Spätabtreibung verpflichtenden Recherche sowie die Interaktion mit professionellen Schauspielern und Schauspielerinnen wie Laiendarstellern und Laiendarstellerinnen wurden von Berrached ebenfalls eingehend vorgestellt. Im Verlauf der Recherchen und Dreharbeiten beobachtete Berrached, dass Ärzte und Ärztinnen sich von den Gesetzgebern und Gesetzgeberinnen überwiegend alleingelassen fühlten, da im Falle einer Spätabtreibungen jeweils eine Individualregelung gefunden werden müsse. Spätabtreibungen erwiesen sich zugleich in unterschiedlichen Kontexten als Tabuthema. So berichtete Berrached von den vielfältigen Schwierigkeiten, Fördergelder einzuwerben; dabei begleitete sie stetig die Angst, dass der Film vom Publikum abgelehnt werden könne. Daran anschließend legte sie dar, welche Entscheidensprozesse zu durchlaufen sind, wenn siebzig Stunden Rohmaterial auf hundertzwei Minuten zugeschnitten werden sollen.
Die Kommentare von Claudia Roesch, die sich innerhalb des SFB mit Reproduktionsentscheidungen beschäftigt, lieferten zusätzlich eine erweiternde, geschichtswissenschaftliche Perspektive auf die Thematik. Roesch analysierte den filmisch dargebotenen Entscheidensprozess und ordnete die dargebotenen Teilaspekte einer Entscheidung historisch prominenten Debatten zu. Laut Roesch stellt sich dabei stets die Frage, wer letztlich als entscheidende Instanz in Erscheinung treten dürfe und wie die Entscheidung rhetorisch legitimiert werde. Kommunikativ werde zwischen Frau, Partner*in, Ärzten und Ärztinnen eine Entscheidung ermittelt. Berrached wie Roesch erläuterten diskussionsbegleitend die Kritik an der Pränataldiagnostik. Gemäß Roesch kritisieren einzelne Vertreterinnen der ‚Frauenbewegung‘ besonders die komplexe Untersuchungstechnik, die ein Spezialwissen erfordere, das selten gegeben sei; dies habe wiederum zur Folge, dass schwangere Frauen sich auf ein ‚Expertenwissen‘ verlassen müssten.
Roeschs und Berracheds Diskussionsbeiträge präsentierten unterschiedliche Recherche- und Darbietungspraktiken innerhalb eines gemeinsamen Forschungsfeldes. Beide Beiträge klassifizierten ‚Wissen‘ als eine zentrale ‚Ressource des Entscheidens‘.
An dieser Stelle sei allen Gästen herzlich für die Diskussionsbeiträge, dem Vorstand für den bewilligten Antrag und Brigitte Heeke für die kreative Plakatgestaltung sowie die gelungene Zusammenarbeit gedankt.
Organisiert und konzipiert wurde die Filmreihe Szenen des Entscheidens von Alexander Durben, Matthias Friedman, Hanno Jansen, Laura-Marie Krampe und Sarah Nienhaus.